Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
1. Was ist ADHS?
ADHS ist die Abkürzung für den Begriff Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung und ist wohl die häufigste psychiatrische Störung im Kindes- und Jugendalter. Sie beinhaltet Symptome aus drei Hauptbereichen:
- Unaufmerksamkeit (z.B. häufige Flüchtigkeitsfehler, Schwierigkeiten dabei sich länger zu konzentrieren, verliert häufig Gegenstände, lässt sich leicht ablenken),
- Hyperaktivität (z.B. zappelt häufig, steht in Situationen wo Sitzenbleiben verlangt wird auf, hat Schwierigkeiten ruhig zu spielen) und
- Impulsivität (platzt häufig mit den Antworten heraus, kann schwer abwarten, bis er/sie an der Reihe ist) (Neuhaus, 2009).
Die Klassifikation von ADHS nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist in einem Manual verzeichnet (International Classification of Diseases, ICD-10 genannt). Laut ICD-10 ist die hyperkinetische Störung charakterisiert durch einen frühen Beginn, sowie durch die Kombination von hoher Ablenkbarkeit bzw. dem Mangel an Ausdauer bei Aufgabenstellungen, wenig angepasstem, überaktivem Verhalten, durch die mangelnde Fähigkeit Reaktionen zurückzuhalten sowie durch das häufige Wechseln von Tätigkeiten. In der Diagnostik wird sie in drei Bereiche, die Beeinträchtigungen zeigen müssen, eingeteilt: Aufmerksamkeitsstörung, hyperaktives und impulsives Verhalten. Die Symptomatik muss vor dem siebten Lebensjahr auftreten und zum Zeitpunkt der Diagnose müssen die Symptome seit mindestens sechs Monaten bestehen, ein unangemessenes Ausmaß annehmen und sie dürfen mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht vereinbar sein. Weiter wird verlangt, dass die Symptome situationsübergreifend beobachtbar sind (z.B. gleichzeitig in der Schule, zu Hause, im öffentlichen Bereich oder am Arbeitsplatz) und ein deutliches Leiden oder eine Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit bedingen (Remschmidt et al., 2012).
Quellenangaben:
Neuhaus, C. (2009). ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlung. Stuttgart: Kohlhammer.
Remschmidt, H., Schmidt, M. & Poustka, F. (2012). Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO (6. Aufl.). Bern: Verlag Hans Huber.
2. Fakten zu ADHS
- In etwa 7% der Kinder zeigen nach den neueren Studien eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keinen Unterschied in verschiedenen Ländern.
- Jungen sind deutlich häufiger von ADHS betroffen als Mädchen. Schätzungen des Jungen-Mädchen-Verhältnisses reichen von 6:1 bis 9:1 (Arnold, 1996). Der Unterschied kommt wahrscheinlich dadurch zustande, dass Mädchen weniger oppositionelles Trotzverhalten, Aggressivität oder Störungen des Sozialverhaltens zeigen und dadurch seltener zur psychologischen Diagnostik überwiesen werden. Mädchen werden jedoch öfters in den unaufmerksamen Typ eingestuft als Jungen.
- Bei Kindern mit ADHS werden häufig auch andere (psychische) Störungen diagnostiziert. Mehrfachdiagnosen bilden eher die Regel als die Ausnahme. Im Rahmen einer Studie (MTA Cooperative Group, 1999), an der 579 ADHS-Kinder teilnahmen, wurden bei 69% der Kinder zusätzliche Störungen diagnostiziert. Die häufigsten zusätzlichen Diagnosen sind Störungen des Sozialverhaltens und oppositionelles Trotzverhalten (50%), Entwicklungsstörungen (allgemein: 20-30%, Lese-Rechtschreibschwäche 25-40%), Angststörungen (20-25%), Tic-Störungen (11%) und Depressionen (4-7%).
Quellenangaben:
Arnold, E. (1996). Sex differences in Attention Deficit Hyperactivity Disorder: conference summary. Journal of Abnormal Child Psychology, 24, S. 555-569.
MTA Cooperative Group (1999). A 14-month randomized clinical trial of treatment strategies for attention deficit hyperactivity disorder. Archieves of General Psychiatry, 56, S. 1073-1086.
3. Zur Entstehung und möglichen Ursachen
Wie diverse Studien belegen, gibt es verschiedene Risikofaktoren für die Ausbildung von ADHS.
1. Pränatale Einflüsse: Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, erniedrigtes Geburtsgewicht, toxische Expositionen durch Nikotin oder Alkohol sowie ungünstige psychosoziale Bedingungen während der Schwangerschaft sind Risikofaktoren für die Entwicklung von ADHS. Kinder von Müttern die in der Schwangerschaft rauchten, haben beispielsweise ein 2,9faches Risiko an ADHS zu erkranken (Linnet et al., 2005).
Faktoren |
Ausprägung |
Risikorate |
Nikotin |
Raucher |
2.9 |
Geburtsgewicht |
< 2.500 Gramm |
3.1 |
Apar-Index |
< 7 |
2.6 |
Geburtszeit |
< 37. Woche |
3.1 |
Schulbildung |
< 3 Jahre nach Grundschule |
2.5 |
Jahreseinkommen |
Gering |
2.0 |
Beziehung |
Singledasein |
4.1 |
Psychiatrische Erkrankung |
Mutter |
3.3 |
Vater |
2.6 |
|
Ein oder mehrere Geschwister |
Mit ADHS |
6.0 |
2. Ernährung: Haben Nahrungsmittel Auswirkungen auf die ADHS-Symptomatik bzw. wirkt eine Ernährungsumstellung positiv? Untersucht wurden vor allem die Einflüsse von allergieauslösenden Nahrungsmitteln auf die ADHS-Symptomatik – von Zucker, Vitaminen, Spurenelementen, essentiellen Fettsäuren und Kräutern. Im Bereich der Ernährung gibt es allerdings noch keine gesicherten Ergebnisse – sondern bestenfalls eine Tendenz.
Auf folgende Nahrungsmittel (Egger et al., 1985) zeigten sich in Untersuchungen verstärkte Reaktionen (die angegebenen Prozentsätze beziehen sich jedoch nur auf 34 untersuchte Kinder): Farb- und Konservierungsstoffe (79%), Kuhmilch (64%), Schokolade (59%), Trauben (50%), Weizen (49%), Zitrusfrüchte (45%), Käse (40%), Ei (39%), Erdnüsse (32%), Mais (23%), Fisch (23%) und Hafer (23%). Zuckeraufnahme scheint keine Auswirkungen auf die ADHS-Symptomatik zu haben. Beruhigende Kräuter wie Kamille, Hopfen oder Baldrian werden in der Behandlung hyperaktiver Kinder vorwiegend bei Schlafstörungen erfolgreich angewandt (Canadian Paedriatic Society, 2002).
3. Psychosoziale Faktoren: Psychosoziale Faktoren, wie ungünstige familiäre Bedingungen und negative Interaktionsmuster, beeinflussen das Verhalten des hyperaktiven Kindes. Familiäre Faktoren haben einen Einfluss auf die Stärke, die Dauer und auf mögliche Sekundärfolgen von ADHS. Nach Johnston & Mash (2001) haben Eltern wegen des desorganisierten und schwer regulierbaren Verhaltens ihrer hyperaktiven Kinder besondere Schwierigkeiten, einen unterstützenden und angemessenen Erziehungsstil anzuwenden. Das mangelhafte Eingehen auf kindliche Bedürfnisse und der Mangel an Wärme und positiven Umgangsformen fördert nun seinerseits den Auftritt von Verhaltensstörungen bei Jugendlichen wie aggressives, oppositionelles und dissoziales Verhalten. Eltern mit ADHS-Kindern die zusätzlich oppositionelles Trotzverhalten zeigen, sind oft weniger fähig, das kindliche Verhalten zu strukturieren und/oder zu regulieren und zeigten mehr laxes und inkonsistentes Verhalten (Lindahl, 1998). Wichtige Faktoren in der Erziehung um Verhaltensstörungen zu vermindern sind die Stabilität der Familie und rücksichtsvolles und konsistentes Verhalten der Eltern. Die frühe Verbesserung der Familienstruktur (harmonische Familienbeziehungen) und der elterlichen Erziehungskompetenz (günstiges Sozialverhalten, Verbesserung der Kommunikation, angemessenes protektives Elternverhalten) als auch die Behandlung des oppositionellen Verhaltens und etwaiger Aggressionen verbessert die ADHS-Symptomatik.
4. Genetik: Studien weisen darauf hin, dass unter den vielen Ursachen bei der Entstehung von ADHS die genetischen Einflüsse die entscheidendste Rolle spielen: Eltern und Geschwister von ADHS-Kindern zeigen fünfmal öfter auch ADHS als Verwandte von Kindern ohne diesem Problem (Biederman et al., 1990).
5. Neurobiologie: Störungen im Dopaminsystem sowie des noradrenergen Systems und die damit verbundene Beeinträchtigung von neuronalen Strukturen werden als einer der grundlegenden Ursachen des ADHS-Syndroms gesehen. Der präfrontale Kortex wird durch diese Neurotransmitter gesteuert und spielt eine wesentliche Rolle bei der Handlungsplanung und -ausführung, bei Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozessen (Karnath & Thier, 2003; Fitzner & Stark, 2000).
Quellenangaben:
Biederman, J., Faraone, S.V., Keenan, K., Knee, D., & Tsuang, M.T. (1990). Family-genetic and psychosocial risk factors in DSM-III: Attention deficit disorder. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 29, S. 526-533.
Canadian Paedriatic Society (2002). The use of alternative therapies in treating children with attention deficit hyperactivity disorder. Paediatric Child Health, 7, S. 710-718.
Egger, J., Carter, C.M., Graham, P.J., Gumley, D. & Soothill, J.F (1985). A controlled trial of oligoantigenic diet treatment in the hypercinetic syndrome. Lancet i, S. 540-545.
Fitzner, T. & Stark, W. (2000). ADS: verstehen – akzeptieren – helfen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Johnston, C. & Mash, E.J. (2001). Families of Children with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: Review and Recommendations for Future Research. Clinical Child and Family Psychology Review, 4, S. 183-207.
Karnath, H.O. & Thier, P. (2003). Neuropsychologie. Berlin-Heidelberg: Springer Verlag.
Lindahl, K.M. (1998). Family process variables and children's disruptive behaviour problems. Journal of Family Psychology, 12, S. 420-436.
Linnet, K.M., Wisborg, K., Obel, C., Secher, N.J., Thomsen, P.H., Agerbo, E. & Henriksen, T.B. (2005). Smoking During Pregnancy and the Risk for Hyperkinetic Disorder in Offspring. American Academy of Pediatrics, 116, S. 462-467.
4. Welche Schwierigkeiten entstehen durch ADHS?
Nach dem ADHS-Modell von Barkley (1997) sind die zentralen Einschränkungen durch ADHS die verzögerte Entwicklung der Verhaltenshemmung und die Beeinträchtigungen exekutiver Funktionen (Handlungsplanung und Überwachung der Handlungsdurchführung), woraus Schwierigkeiten bei der Selbststeuerung entstehen. Zentrale Funktionen die sich aufgrund dieser mangelnden Impulskontrolle nicht ausreichend und dem Alter entsprechend entwickeln können, werden folgend angeführt:
Das nonverbale Arbeitsgedächtnis:
Das Arbeitsgedächtnis ist an der Speicherung, Bewertung sowie beim Abrufen aufgenommener Informationen beteiligt. Bei einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, wie bei ADHS, werden Information nicht richtig gespeichert und abgerufen. Durch die zusätzliche Beeinträchtigung bei der Setzung von Prioritäten in der Reizaufnahme entstehen speziell in Situationen einer Reizüberflutung immer wieder Informationslücken im Arbeitsspeicher. Menschen mit ADHS besitzen oft ein verblüffendes Gedächtnis für alle möglichen Kleinigkeiten und Einzelheiten aus der Vergangenheit, übersehen bzw. vergessen aber wesentliche Merkmale oder Informationen (Fitzner & Stark, 2000).
Die zeitliche Dimension:
Kinder mit ADHS sind zeitlich durch ihre Impulsivität vorwiegend auf die Gegenwart beschränkt. "Sie werden vom Augenblick beherrscht, streben nach unmittelbarer Befriedigung und berücksichtigen nur Ereignisse die sie direkt vor sich haben. Es zählt nur unmittelbare Bedürfnisbefriedung im Hier und Jetzt. Daraus ergibt sich auch die Unfähigkeit zeitlich nahe Ereignisse bzw. Konsequenzen auf Verhaltensweisen einzuschätzen oder auf Belohnungen warten zu können. Durch ihr schlechtes Zeitgefühl fällt es ihnen schwer sich die Zeit einzuteilen, Limits einzuhalten bzw. für die Zukunft zu planen“ (Barkley, 2005, S. 12).
Selbststeuerung von Emotion und Motivation:
Eine wichtige Fähigkeit bei erfolgreichen sozialen Interaktionen ist, gegenwärtige emotionale Reaktionen unterdrücken bzw. verzögern zu können. Menschen mit dieser Fähigkeit können von Ereignissen Abstand nehmen und diese im Anschluss objektiver und mit mehr Vernunft und Logik betrachten. Durch die eingeschränkten Hemm- und Filtermechanismen sind ADHS-Kinder in ihrer Impulsivität gefangen und ausgeliefert. Die sofortige Auslebung ihrer Emotionen im Hier und Jetzt führt in familiären und außerfamiliären Interaktionen oft zu erheblichen Problemen. Kinder mit ADHS sind oft nicht fähig bei ihrer Emotion zu bleiben, diese zu reflektieren und an die Gegebenheiten der Umgebung anzupassen. Deshalb reagieren diese Kinder oft mit heftigen Affektausbrüchen und der Situation unentsprechend. Ein positiver Nebeneffekt: ADHS-Kinder registrieren bereits geringe Schwankungen in Emotionen und reagieren auf emotionale Veränderungen ihrer Umgebung dementsprechend hypersensibel (Fitzner & Stark, 2000).
Gefühlslabilität:
Kinder mit ADHS werden häufig von Gefühlen regelrecht überschwemmt. Als Beispiel für diese Gefühlssensibilität steht der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn von ADHS-Kindern, der leicht zu Frustrationen bzw. Gefühlen der Verletztheit führt, die aber durch die Impulsivität schnell wieder „vergessen“ werden. Das Leben in den Gefühlen erschwert wiederum die Aufrechterhaltung von Motivation, da Ausdauer und Willenskraft (z.B. bei der Zielverfolgung) normalerweise durch die innere Motivations- und Emotionslage und den Aktivierungsgrad gesteuert werden (Barkley, 2005).
Struktur:
Durch die innere Unstrukturiertheit verweigern ADHS-Kinder oft eine intensive Auseinandersetzung mit Aufgaben und Reizen, die sie als zu komplex erleben. Um längere Zeit bei einer Tätigkeit verweilen zu können, brauchen diese Kinder eine enorme Begeisterung. Das Interesse kann von außen durch eine wenig komplexe und abwechslungsreiche Aufgabe aufrechterhalten werden und/oder durch permanente äußere Verstärkungen und Anreize. Im Umgang bzw. in der Therapie mit ADHS-Kindern stellt das Finden des richtigen Maßes zwischen Außensteuerung und der Verletzung der ausgeprägten Autonomiebedürfnisse oft eine Gratwanderung dar (Barkley, 2005).
Quellenangaben:
Barkley, R.A. (1997a). ADHD and the nature of self-control. New York: Guilford Press.
Barkley, A.R. (2005). Das große ADHS-Handbuch für Eltern. Bern: Verlag Hans Huber.
Fitzner, T. & Stark, W. (2000). ADS: verstehen – akzeptieren – helfen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
5. Klinisch-psychologische Diagnostik
Die Diagnostik von ADHS hat vorrangig das Ziel, das Vorliegen sowie die Ausprägungen einer möglichen ADHS-Symptomatik anhand internationalen Kriterien (ICD-10 der WHO) auszuschließen oder zu bestätigen. Bei einer ADHS-Diagnose handelt es sich nicht um eine rasche "Blickdiagnose", sondern um einen längeren Prozess, in dem klinisch und wissenschaftlich fundierte Untersuchungsmethoden anzuwenden sind. Aus dieser Diagnose ergeben sich im weiteren Verlauf direkte Konsequenzen bzw. Ansatzpunkte für den Behandlungsplan des Kindes. Da es verschiedene Typen und Ausprägungen des Syndroms gibt, bedeutet dies in der Praxis, dass auch PatientInnen ohne stark auffallendes hyperaktives Verhalten (wie z.B. starkes Zappeln) an einer Aufmerksamkeitsstörung leiden können.
Eine ADHS-Diagnostik beinhaltet folgende Bausteine (Kahl et al., 2012):
- Aus der Exploration und Anamneseerhebung mit den Eltern, dem Kind und möglicherweise den Lehrer/innen ergeben sich Hypothesen zu Störungsbildern, die zur weiteren Planung der Diagnostik genutzt werden. Auch Erwartungshaltungen und Ziele der Beteiligten sind von Interesse. Es werden Informationen zur familiären Situation, zur Entwicklung des Kindes, zum Freizeit- und Sozialverhalten und zur Persönlichkeit des Kindes erhoben, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten und komorbide Störungen auszuschließen.
- Testpsychologische Verfahren geben Aufschluss über verschiedene Leistungsbereiche des Kindes (z.B. Konzentration, Intelligenz, Wahrnehmung, Impulskontrolle) und decken individuelle Schwierigkeiten auf. Auch kann das allgemeine und Arbeitsverhalten des Kindes direkt beobachtet werden.
- Mit standardisierten Fragebögen werden wissenschaftlich gesichert Informationen und Symptome des Kindes erhoben, die den Eltern und nach Bedarf den Lehrer/innen zur Fremdeinschätzung sowie je nach Alter dem Kind zur Selbstbeurteilung vorgelegt werden. Mit umfassenden Screening-Verfahren kann der Problembereich eingeschränkt werden.
Quellenangaben:
Kahl, K.G., Puls, J.H., Schmid, G. & Spiegler, J. (2012). Praxishandbuch ADHS: Diagnostik und Therapie für alle Altersstufen (2. Aufl.). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
6. Psychologische Behandlung
Kombinationen aus eltern- und kindzentrierten Interventionsformen, individuell an die Schwierigkeiten des Kindes bzw. der Familie angepasst, sind bei der Behandlung von ADHS laut bisheriger Studien wirksamer als die Anwendung von Einzelmethoden. Der Grund hierfür liegt in der Unterschiedlichkeit der Störungen: Oft gibt es zusätzliche Störungen zum ADHS, die familiären Belastungen sind unterschiedlich oder die verschiedenartigen Behandlungsmöglichkeiten werden unterschiedlich akzeptiert (Döpfner & Lehmkuhl, 2002). Aus diesem Grund ist eine ausführliche psychologische Diagnostik grundlegend, um die individuellen Schwierigkeiten erfassen zu können und eine speziell abgestimmte Behandlung der Probleme zu erreichen.
Behandlungen mit dem Kind
Interventionen in denen mit dem ADHS-Kind gearbeitet wird, umfassen Spiel-, Konzentrations-, Selbstinstruktions- und Entspannungstrainings, Trainings zur Verringerung der Impulsivität und zur Kontrolle des Ärgers, die Vermittlung von Selbstmanagement- und Problemlösestrategien sowie die Erhöhung der sozialen Kompetenz. Damit soll das Lern- und Sozialverhalten der ADHS-Kinder verbessert werden. Wichtig in der Behandlung sind die alltagsnahe Gestaltung und die individuelle Anpassung des Trainingsprogramms an die Fähigkeiten und Schwierigkeiten der Kinder. Psychologische Hausübungen sollen die Generalisierung auf andere Situationen bzw. Aufgaben gewährleisteten. Auch Entspannungs- und Biofeedbackverfahren können zu einer Verbesserung der psychophysiologischen Selbstregulation beitragen und somit auch zu einer Reduzierung der Symptome (Saile, 1996).
Hilfestellungen für die Eltern
Bei eltern- bzw. familienzentrierten Ansätzen liegt der Schwerpunkt neben der Aufklärung und den nötigen Veränderungen des familiären und psychosozialen Bedingungsgefüges, bei verschiedenen Methoden des operanten Reiz- und Kontingenzmanagements (Effektive Kommunikation, Strukturmanagement, Anwendung positiver und negativer Sanktionen, Verstärkungs-Systeme und Auszeitverfahren).
Quellenangaben:
Döpfner, M. & Lehmkuhl, G. (1996). Mißerfolgs- und Widerstandanalyse in der Verhaltenstherapie am Beispiel eines Eltern-Kind-Programmes zur Behandlung von hyperkinetisch und oppositionell auffälligen Kindern. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 45, S. 10-19.
Saile, M. (1996). Metaanalyse zur Effektivität psychologischer Behandlung hyperaktiver Kinder. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 25, S. 190-207.
7. Medikamentöse Behandlungen
Bei ausgeprägter Symptomatik kann eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein, um die Entwicklung des Kindes zu fördern bzw. um dem Kind zu helfen. Diese Entscheidung trifft nach Absprache mit den Eltern der zuständige Facharzt (Psychiater, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder für Kinder- und Jugendheilkunde). Die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung von ADHS ist prinzipiell gut belegt und fundiert. Eingesetzt werden vor allem zentralnervös aktivierende Psychopharmaka mit dem Wirkstoff Methylphenidat (Handelsname: Ritalin® oder Concerta®) und Antidepressiva mit dem Wirkstoff Atomoxetin (Handelsname: Strattera®), aber auch zentralnervös dämpfende Substanzen wie Neuroleptika (Handelsname: Rispatal®) werden gelegentlich verabreicht (wenn das Kind starke Aggressionen zeigt). Es können unterschiedliche positive Effekte einer medikamentösen Behandlung gefunden werden, wie etwa die Verlängerung der Aufmerksamkeitsspanne, eine verbesserte Konzentrationsleistung oder eine größere Anstrengungsbereitschaft (Elia, 1993; Lauth & Schlottke, 2002).
Quellenangaben:
Elia, J. (1993). Drug treatment for hyperactive children. Therapeutic guidelines. Drugs, 46, S. 863-871.
Lauth, G.W. & Schlottke, P.F. (2002). Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern. Weinheim: Beltz Verlag.